Wohnungsmarkt in Baden-Württemberg zeigt Mangellage
Pestel-Institut: Land kann Vorreiter beim Wohnungsbau werden
Baden-Württemberg droht in den kommenden Jahren ein dauerhafter Wohnungsmangel. Zu diesem Ergebnis kommt die aktuelle Wohnungsmarkt-Studie des Pestel-Instituts im Auftrag von sieben Verbänden der Wohnungs- und Immobilienwirtschaft sowie der Arbeitsgemeinschaft Baden-Württembergischer Bausparkassen. Die Analyse zeigt: Der Wohnungsmangel ist kein vorübergehendes Phänomen – er hat sich zu einem strukturellen Problem entwickelt, das tief in Wirtschaft und Gesellschaft hineinwirkt.
„Der Wohnungsmangel ist die soziale und wirtschaftliche Schlüsselfrage unserer Zeit“, sagt Matthias Günther, Leiter des Pestel-Instituts. „In Baden-Württemberg hat sich die Lage in den vergangenen Jahren zugespitzt. Wenn es nicht gelingt, die Neubauzahlen wieder deutlich zu steigern, werden Wohnen, Fachkräftesicherung und wirtschaftliche Entwicklung gleichermaßen in Bedrängnis geraten.“
Wohnungsdefizit wächst trotz Neubautätigkeit
Laut Studie fehlen im Land derzeit 192.000 Wohnungen. In 41 von 44 Stadt- und Landkreisen herrscht laut Pestel-Institut ein Wohnungsdefizit oder starker Wohnungsmangel. Nur in den Kreisen Tübingen, Calw und Freudenstadt gilt der Markt derzeit als einigermaßen ausgeglichen. Das Defizit entspricht dem Wohnungsbau von rund vier Jahren – ein Rückstand, der sich angesichts niedriger Baugenehmigungszahlen in den kommenden Jahren sogar noch vergrößern dürfte.
„Die Wohnungsmärkte im Land stehen unter enormem Druck. Der Neubau reicht schon seit Jahren nicht mehr aus, um den Bedarf zu decken“, erklärt Günther. „Selbst stabile Baugenehmigungszahlen würden heute nicht reichen“.
Hohe Nachfrage trifft auf blockierte Angebotsreserven
Seit 2010 ist die Bevölkerung in Baden-Württemberg um über 7 Prozent gewachsen, die Zahl der privaten Haushalte sogar um fast 11 Prozent. Ursache ist nicht nur Zuwanderung, sondern auch die sinkende Haushaltsgröße: Immer mehr Menschen leben allein, während gleichzeitig die Wohnfläche pro Kopf weiter gestiegen ist. So ist die Haushaltsgröße seit 2010 stetig gesunken – von 2,19 auf 2,11 Personen, während die verfügbare Wohnfläche je Einwohner von 44,0 m² auf 48,7 m² gestiegen ist.
„Die Haushaltsbildung stockt, weil die Wohnungen fehlen“, so Günther. „Junge Menschen bleiben länger im Elternhaus, Familien finden keine passende Wohnung und ältere Menschen ziehen mangels Alternativen nicht aus zu großen Wohnungen aus. So verfestigt sich die Knappheit.“
Besonders problematisch: Obwohl die amtliche Leerstandsquote im Zensus 2022 bei 4,3 Prozent lag, steht ein Teil dieser Wohnungen dem Markt gar nicht zur Verfügung. Über die Hälfte der leerstehenden Wohnungen war länger als zwölf Monate unbewohnt – vielfach aufgrund von Sanierungsbedarf, Erbstreitigkeiten oder aus Vermietungsangst privater Eigentümer. „Dieser sogenannte Langzeitleerstand ist ein Trugbild von Reserveflächen – real hilft er den Wohnungssuchenden nicht“, betont Günther.
Wachsende soziale Schieflage
Die Studie verweist zudem auf eine zunehmende soziale Polarisierung. Rund 800.000 Haushalte gelten in Baden-Württemberg als armutsgefährdet. Gleichzeitig gibt es nur noch rund 55.000 Sozialwohnungen im Land, während annähernd 1,3 Millionen Haushalte Anspruch auf einen Wohnberechtigungsschein hätten.
„Das Land hat einen massiven Mangel an bezahlbarem Wohnraum“, so Günther. „Viele Haushalte mit normalen Einkommen können sich in den Ballungsräumen kaum noch eine Wohnung leisten. Das ist kein Randthema – das betrifft die Mitte der Gesellschaft.“
Besonders in den wirtschaftsstarken Regionen mit hohen Boden- und Mietpreisen – etwa in Stuttgart, Freiburg oder dem Raum Heilbronn – wird bezahlbarer Wohnraum zunehmend zur Mangelware. Günther warnt: „Wenn Wohnraum zum Luxusgut wird, verlieren Städte ihre soziale Balance – und Unternehmen ihre Fachkräfte.“
Trotz der jüngsten negativen Meldungen aus der Industrie suchen viele kleine und mittlere Betriebe nach wie vor Arbeitskräfte. Damit bleibt ein ungebrochener Zuzugsdruck zur Befriedigung der Arbeitskräftenachfrage, der wegen des Wohnungsmangels nicht umgesetzt werden kann. Ohne Zuwanderungen sinkt die Zahl der Erwerbsfähigen in den kommenden Jahren um über 40.000 Personen je Jahr. Die Lösung der Wohnungsfrage ist damit auch eine zentrale Voraussetzung für die wirtschaftliche Entwicklung des Landes.
Hohe Kosten beim Neubau
Die Studie zeigt außerdem, dass die Baukosten für Ein- und Zweifamilienhäuser in Baden-Württemberg nach Bayern am zweithöchsten sind. Bei Mehrfamilienhäusern liegt Baden-Württemberg nach Hamburg und Bayern hinsichtlich der Baukosten auf dem dritten Rang. Die Kostensteigerungen lagen zwischen 2008 und 2024 mit Werten zwischen 70 und 80 Prozent deutlich über der Inflation in diesem Zeitraum, die bei gut 37 Prozent lag.
Hinzu kommt die Steigerung der Baulandpreise. Die Kaufwerte für „baureifes Land“ sind nach den Daten der Regionaldatenbank der statistischen Ämter des Bundes und der Länder in Baden-Württemberg von knapp 171 Euro/m² im Jahr 2008 auf 357 Euro/m² im Jahr 2024 gestiegen. Mit 109 Prozent fiel die Steigerung noch höher aus als bei den Bauwerkskosten.
„Die Preisentwicklung zeigt, dass es an der Zeit ist, die im Zeitablauf stetig gestiegenen Anforderungen an Wohngebäude zu hinterfragen“, fordert Günther. Die Einführung des sogenannten Gebäudetyp E und eine Orientierung am Hamburg-Standard würde grundsätzlich zur Kostensenkung beitragen.
Altbestand dominiert – Modernisierung als doppelte Chance
Rund 60 Prozent der Wohnungen im Land wurden vor 1980 gebaut, also vor Einführung der ersten Wärmeschutzverordnung. Damit ist der Sanierungsbedarf immens – nicht nur aus Klimaschutzgründen, sondern auch, um altersgerechtes und barrierefreies Wohnen zu ermöglichen.
„Die energetische Modernisierung des Bestands ist eine doppelte Chance: Sie schafft Klimaschutz und entlastet den Wohnungsmarkt durch die Verlängerung der Nutzungsdauer“, erklärt Günther. „Dafür braucht es aber Planungssicherheit und verlässliche Förderbedingungen.“
Vorschläge zur Behebung der Problemlage
Das Pestel-Institut unterbreitet eine Reihe von Lösungsvorschlägen, um den Wohnungsbau im Land zu stärken und damit die Wohnungsmärkte zu entlasten. In seinem Fazit nennt die Studie folgende zentrale Maßnahmen:
- 100-prozentige Ko-Finanzierung der Bundesmittel im sozialen Wohnungsbau durch das Land. Während andere Bundesländer wie Schleswig-Holstein, Hamburg oder Nordrhein-Westfalen mehr eigene Mittel in den sozialen Wohnungsbau geben als sie vom Bund bekommen, hielt sich Baden-Württemberg über Jahre eher an das in entsprechenden Verwaltungsvereinbarungen mit dem Bund festgesetzte Mindestmaß. Selbst für 2025 ist noch keine komplette Ko-Finanzierung zu erkennen. Angesichts eines Wohnungsmangels, der die wirtschaftliche Entwicklung beeinträchtigt, ist mindestens eine eigene Finanzierung in Höhe der vom Bund gewährten Mittel wünschenswert.
- Der Wohnungsneubau braucht gegenwärtig bessere Finanzierungsbedingungen. Da vom Bund aktuell keine Hilfe zu erwarten ist, sollte das Land Baden-Württemberg vorangehen und ein Wohnungsbaukreditprogramm mit einem Zins von max. zwei Prozent auflegen. Für junge Selbstnutzer könnte eine eigenkapitalergänzende Bürgschaft des Landes eine wichtige Hilfe bei der Darstellung des für die Finanzierung notwendigen Eigenkapitals sein.
- Wohnungsbau muss wieder preiswerter werden. Die Entwicklung des Gebäudetyp-E und eine Orientierung am Hamburg-Standard kann beim Wohnungsbau zur Kostensenkung beitragen.
- Wohneigentum leistet einen wichtigen Beitrag zur Altersvorsorge, sozialen Stabilität und regionalen wirtschaftlichen Entwicklung. Baden-Württemberg sollte sich für praxistaugliche Förderprogramme und gezielte Entlastungen einsetzen, denn besonders junge Familien und Alleinerziehende scheitern an hohen Nebenkosten und komplexen Förderbedingungen.
- Weiterhin gilt es, im ganzen Land Wohnangebote für Senioren zu schaffen, in denen diese dann dauerhaft selbständig leben können. Zum einen kann mit einer solchen Strategie die Pflege im eigenen Zuhause gestärkt werden, zum anderen werden ehemalige Familienwohnungen für nachrückende Familienhaushalte frei.
- Die Vermietung freifinanzierten Wohnraums war immer ein wesentlicher Baustein der Wohnungsversorgung in Baden-Württemberg. Sowohl private Kleinvermieter als auch Wohnungsunternehmen brauchen zur Errichtung und Vermietung von Wohnraum verlässliche rechtliche und finanzielle Rahmenbedingungen. Wie der Zensus gezeigt hat, ist ein kleiner, aber offensichtlich wachsender Teil der Eigentümer nicht mehr bereit, unter den gegebenen Bedingungen ihre Wohnungen am Markt zur Vermietung anzubieten. Zu hinterfragen ist in diesem Zusammenhang auch das Mietrecht. Die zunehmende Regulatorik im Mietrecht und Mietpreisrecht der letzten Jahre konterkariert das Bemühen der Politik die Investitionsbereitschaft in den Mietwohnungsbau zu fördern.
- Die Absenkung der Grunderwerbsteuer hilft sowohl den Eigentumsbildnern und privaten Kleinvermietern als auch den gewerblichen Anbietern.
„Baden-Württemberg hat die Chance, als eines der wirtschaftlich stärksten Bundesländer den Wohnungsbau beispielgebend für andere zu forcieren. Die Profilierung des Landes als Vorreiter im Wohnungsbau ist angesichts der hohen Wohnungsdefizite auch dringend erforderlich, um der Bevölkerung und den Unternehmen, die Arbeitskräfte suchen, eine Perspektive zu geben“, ist Günther überzeugt.
Das sagen die Auftraggeber:
Arbeitsgemeinschaft Baden-Württembergischer Bausparkassen
„Baden-Württemberg braucht eine echte Eigentumsoffensive, denn Wohneigentum ist kein Luxus, sondern ein Garant für soziale Stabilität und verlässliche Altersvorsorge. Gerade junge Menschen scheitern oft nicht am Willen, sondern an hohen Nebenkosten und fehlendem Eigenkapital. Hier kann das Land gezielt helfen – und wir als Bausparkassen stehen bereit, diesen Weg zu unterstützen“, betont Stefan Siebert, Vorsitzender der Arbeitsgemeinschaft Baden-Württembergischer Bausparkassen und Vorstandsvorsitzender der LBS Süd.
BAUWIRTSCHAFT BADEN-WÜRTTEMBERG E.V.
„Die Novelle der LBO zeigt in die richtige Richtung: schnellere Genehmigungsverfahren, Entbürokratisierung durch zügige Umsetzung der Genehmigungsfiktion. Stichwort: Vollständigkeitserklärung. Jetzt muss diese von den Bauämtern nur noch umgesetzt werden“, meint Hauptgeschäftsführer Thomas Möller.
BFW Landesverband Freier Immobilien- undWohnungsunternehmen Baden-Württemberg e.V.
„Wohnungsneubau ist auch künftig notwendig, um dem Wohnungsmangel entgegenzuwirken“, führt Lipka, der Geschäftsführer des BFW Baden-Württemberg aus. Und weiter: „der Mittelstand in Baden-Württemberg braucht keine staatliche Förderung, sondern bezahlbares Bauland, kostengünstige Baustandards, stabile finanzielle und politische Rahmenbedingungen. Denn selbstgenutztes Wohneigentum und freifinanzierter Mietwohnungsbau waren und sind unverzichtbare Säulen der Wohnraumversorgung in Baden-Württemberg.“
Haus & Grund Baden - Landesverband Badischer Haus-, Wohnungs- und Grundeigentümer e.V. und Haus & Grund Württemberg - Landesverband Württembergischer Haus-, Wohnungs- und Grundeigentümer e.V
Nur gemeinsam lassen sich die Herausforderungen bewältigen. Die privaten Eigentümer bilden das Rückgrat des Wohnungsmarktes in Deutschland. Rund 80 % aller Wohnungen in Deutschland, sowie rund zwei Drittel aller Mietwohnungen stehen im Eigentum von Privatpersonen. Nur mit ihnen gemeinsam kann die Wohnwende gelingen. Die Politik braucht die privaten Eigentümer als Partner nicht als Gegner.
IVD Süd e.V. – Immobilienverband Deutschland, Verband der Immobilienberater, Makler, Verwalter und Sachverständigen Region Süd e.V.:
„Der IVD Süd hat mit seinem IVD-Marktforschungsinstitut immer wieder die Bautätigkeit untersucht und auf den wachsenden ungedeckten Bedarf hingewiesen – doch passiert ist zu wenig. Jetzt braucht es verlässliche politische Impulse, um die Bautätigkeit anzukurbeln und den Erwerb von Wohneigentum zu erleichtern – etwa durch eine Befreiung der ersten Immobilie von der Grunderwerbsteuer“, betont IVD Süd Geschäftsführer Sacha Volz.
KoWo BW - Vereinigung baden-württembergischer kommunaler Wohnungsunternehmen
„Ohne verlässliche Fördermittel geht es nicht! Um den sozialen Wohnungsbau zu stärken, muss das Land die Bundesmittel 1:1 kofinanzieren“, fordert Dr. Frank Pinsler, Vorsitzender der Vereinigung baden-württembergischer kommunaler Wohnungsunternehmen.
vbw Verband baden-württembergischer Wohnungs- und Immobilienunternehmen e.V.:
„Bauen ist in den letzten Jahren zu teuer geworden. Wir müssen wieder einfacher bauen, mit reduzierten Standards und niedrigeren Kosten. Der `Hamburg-Standard´ gibt hier eine sinnvolle Orientierung und Haltung. Das brauchen wir auch in Baden-Württemberg“, ist Verbandsdirektorin Dr. Iris Beuerle überzeugt.
Die Studie finden Sie hier
Die Präsentation anlässlich der Pressekonferenz finden Sie hier
